Es klingt wie ein totaler Widerspruch: Eine sich weiter ausbreitende Pandemie mit immer stärkeren Wirtschaftseinbrüchen, während die Börsen alte oder neue Hochs ins Visier nehmen.
Nicht unbedingt, wenn man sich die unterliegenden Treiber der Märkte ansieht. Zunächst sind da die gewaltigen Unterstützungsprogramme der Regierungen und die drastischen Liquiditätsmaßnahmen der Notenbanken bei einem weiterhin anhaltenden Niedrigzinsniveau zu nennen. Und bei Analyse der Indizes erkennt man, dass es nur einzelne Aktien sind, die die Märkte mit ihrer relativ hohen Indexgewichtung nach oben treiben, aber von den Wirtschaftseinbrüchen weniger betroffen sind: Technologie, Gesundheitswesen und Konsum. Auf der anderen Seite sind stärkere Gewinn- und Umsatzeinbrüche bei exakt den von der Pandemie betroffenen Firmen und Industrien (z.B. Fluglinien, Reiseindustrie, Banken… etc.) zu verzeichnen, deren Indexgewichtung relativ gesehen geringer ist und deren negative Kursentwicklung sich auf die Gesamtindizes eher geringer auswirkt. Die Märkte wissen in diesen Zeiten also sehr wohl zu differenzieren.
Ein weiterer Gewinner in der ersten Jahreshälfte: Gold. Dabei wird es seinem Ruf im aktuellen Aufwärtstrend als „Krisengewinner“ wohl nur teilweise gerecht, Investoren scheinen zunehmend Inflationsszenarien einzupreisen und sich entsprechend mit dem Edelmetall abzusichern, während es aber auch insgesamt vom allgemeinen Anstieg der Rohstoffe und Edelmetalle profitieren konnte.
China ist zurück auf der Investmentagenda der Investoren. Das Land war das erste, das in die Krise rein- und wieder herauskam und die lokalen Börsen reflektieren nicht nur die Maßnahmen im Kampf gegen das Virus, sondern auch die eindeutige Technologieführerschaft in bestimmten Industrien. Chinesische Aktien sind bis dato die Gewinner in 2020 und dieser Trend sollte sich fortsetzen, da internationale Investoren das Land immer mehr als eigene Asset-Klasse entdecken und der relative Anteil von chinesischen Aktien in den entsprechenden Börsenindizes weiter zunehmen wird.
Während für Europa eine moderate Erholung angenommen wird, insbesondere getrieben durch die starke Unterstützung der Zentralbanken und Regierungen (vgl. z.B. das französisch-deutsche Aufbauprogramm oder die Absenkung der deutschen Mehrwertsteuer) kommt das Feuerwerk an geldpolitischen Initiativen in den USA an seine Grenzen und die Regierungen müssen hier neue Maßnahmenpakete vereinbaren. Obwohl die aktuellen Zahlen zum Arbeitsmarkt und Verbrauchervertrauen recht zuversichtlich machen, bringt der Gedanke der Wahl eines demokratischen Präsidenten im November (und in der Folge mögliche Steuererhöhungen und Regulierungen) Investoren dazu, über Umschichtungen in andere Märkte wie Europa für die nächsten 6-12 Monate nachzudenken.
Unabhängig von diesen Überlegungen müssen sich Anleger aber mehr und mehr Gedanken über langfristige strategische Anpassungen ihrer Portfolios machen, z.B. im Hinblick auf die Rolle von Staatsanleihen, Absicherungen gegen mögliche Inflationsszenarien oder auch die richtige Aktienauswahl mit Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle für die Zeit nach COVID-19 neu ausrichten müssen.